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Fülle des Lebens – Morgenandacht

Es ist ungefähr anderthalb Jahre her, da waren meine Frau und ich noch Studenten. Es gab Dinge wie BAföG, Stipendien und Mensa, und mein größtes Interesse galt dem Studium der Theologie, der Altsprachen und der Bibel.

Dann trat ich meine erste Stelle bei einem Unternehmen an, und plötzlich bemerkte ich: Ich befinde mich ja in einer finanziellen Abhängigkeit! Eigentlich sollte ich eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen. Und welche Versicherung wähle ich für das Auto, das ich jetzt brauche? Und für den Altbau, den wir in der Heimatstadt meiner Frau kaufen konnten – welche Renovierungsmaßnahmen können wir uns leisten? Womit haben wir dauerhaft am wenigsten Sorgen? Wieviel Geld werde ich die nächsten Jahrzehnte zur Verfügung haben? Hätten wir die Immobilie überhaupt kaufen sollen? Was, wenn meine Frau keine Stelle bekommt?

Das alles passierte in weniger als zwölf Monaten, und je mehr neue Herausforderungen kamen, desto enger wurde der Kreis, in dem ich dachte. Immer mehr fragte ich nach mir und meinen Möglichkeiten, immer weniger nach Gottes Zielen in meinem Leben. Immer häufiger suchte ich Lösungen in bloß pragmatischer Abwägung, und immer seltener im Gebet. Souveränität, Weitblick und Gesamtschau des Lebens schienen mir zunehmend unmöglich. Und – so muss man sagen – Gott wurde fast zu jener gespenstischen Unruhe, die nur noch von den Rändern her in mein Leben hereinstrahlte:

Es ist merkwürdig – und ist mir auch persönlich zu einer Überzeugung geworden, die vom Leben auf Schritt und Tritt bestätigt wird –, dass ich zu der größtmöglichen Entfaltung meiner Persönlichkeit gerade dann nicht komme, wenn ich diese Entfaltung will, wenn ich mir also ständig überlege: Wo habe ich eine Chacne, mich auszuleben? Wo kann ich gesellschaftliches Prestige gewinnen? Wo kann ich ein Maximum an Leistung erreichen und wo die höchste Lust erleben? Vielmehr komme ich nur dann zur wahren Erfüllung meiner Persönlichkeit und meines Lebens überhaupt, wenn ich an diese Entfaltung gar nicht denke, sondern wenn ich mich – gleichsam selbstvergessen – einem anderen zuwende, einem anderen Menschen oder auch einer Aufgabe, kurz, wenn ich also diene und liebe und in beidem nicht an mich selbst denke.

Es gibt eben Dinge im Leben – und dazu gehört die Erfüllung der eigenen Persönlichkeit – die man nicht direkt wollen kann und die einem sozusagen nebenbei, wirklich als Nebenprodukt, zuteil werden. Nur einer, der liebt und nicht an sich denkt, findet sich gerade – und umgekehrt: Wer sich selbst sucht, ist immer der Depp.

Auf dieses merkwürdige Geheimnis unseres Lebens hat Jesus aufmerksam gemacht, wenn er sagt: Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches alles zufallen. Das heißt doch: Wem es wirklich und ernsthaft, wem es sozusagen elementar um Gott geht, der bekommt nebenbei alles andere mitgeschenkt, dem gibt er Brot und Freunde, dem schließt er Tore in seinem Beruf auf und den überschüttet er mit der Fülle des Lebens, die er nie gefunden hätte, wenn er sie unmittelbar und in egoistischer Gier gesucht hätte. Wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; wer es aber hingibt und gerade nicht sich selbst und sein Leben will, der ausgerechnet findet sich und nebenbei dann auch noch das Schöne im Leben, ja das Interessante und Attraktive. Gott schenkt das Größte immer nur nebenbei. Das muß man sich merken.

Ich würde sagen, dass sich das schon in unserem Lebensstil ausprägen muß. Wer morgens bereits mit dem Gedanken aufsteht: Wie kann ich heute möglichst viel in meine Tasche hineinwirtschaften? Was kann ich für meine Karriere, meine Sicherheit, meine Vitalität tun? – und wer nebenbei dann noch denkt: Später, wenn ich das alles erreicht habe, will ich mir auch Zeit nehmen, fromm zu sein und meiner Bank einen Dauerauftrag für Bethel oder andere edle Werke geben; ich behaupte: Wer so denkt, der hat von Anfang an eine falsche Kalkulation aufgestellt, der findet die Erfüllung seines Lebens gerade nicht. Auch bei dem in Aussicht genommenen, frommen Happyend seines Lebens, bei dem geplanten Stelldichein mit Gott auf den sanften Auen der Saturiertheit ist er auf jeden Fall der Depp. Wenn Gott nicht das Erste, das Elementarste in unserem Leben ist, so entweicht er und ganz, oder wir erleben ihn als gespenstische Unruhe, die von den Rändern her in unser Leben hereinstrahlt.

Darum meine ich, dass wir schon den Tag mit ihm beginnen müßten – weil eben das Wichtigste und Programmatische immer an die Spitze gehört –, dass wir ihm alles anzubefehlen hätten: was wir heute zu treiben gedenken, unsere Ehe, unsere Kinder und die Menschen, mit denen wir heute zu verhandeln und mit denen wir zu arbeiten haben. Denn Gott schenkt das Beste mit der linken Hand, und den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf.

— In enger Anlehnung an Helmut Thielicke: Wie die Welt begann : Der Mensch in der Urgeschichte der Bibel, Suttgart 1980, Seiten 90–96. Gesungen haben wir davor FuL 174

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